Johannes
Gutenberg-Universität Mainz
Institut für Vor- und Frühgeschichte
WS 99/00
Auszug aus dem Handout im Rahmen des Seminars:
"Die Klostergründungen im frühen und hohen
Mittelalter"
Leitung: Dr. phil. habil. N. Wand
Thema: "Merowingische Klöster im Frankenreich"
Das Offo-Grab der
merowingischen Klostergründung
Schuttern
Arnold Metzen
1. Geographisch-geschichtliche Zurodnung zur
Gründungszeit
Schuttern (heute ca. 1200 EW) liegt im oberen Rheingraben,
rechtsrheinisch ca. 12 km südwestlich von Offenburg. Diese
Flußlandschaft am Fuß des Schwarzwalds ist die sogenannte
"Ortenau". Klimatisch ist sie in einer überdurchschnittlich
warmen Zone nördlich der Alpen gelegen. Die Besiedelung ist
überwiegend ländlich strukturiert. Die Ortenau beherbergt seit
etwa 1000 n. Chr. etwa 20 Klöster verschiedener Konvente.
Der Name Schuttern existiert seit etwa 1025 n. Chr. als
Scuttera = ein um das Kloster gewachsener Weiler (vormals
Offonis cella, später Offunwilare). Die Spätantike
entließ das Gebiet als gering bevölkertes, unattratkives
Riedland. Dennoch sind römische Siedlungsfunde gesichert.
Diese Lokationen wurden in merowingischer Zeit von Mönchen,
bevorzugt jener aus dem Gefolge des irischen Wandermönchs
Columban (*543, +615), aufgesucht. Dessen erste monastische
Welle wurde zwischen 590-ca. 690 im südwestlichen Raum bis ins
Voralpenland wirksam. Zentrum: Luxeuil. Columban und seine
Nachfolger erwirken gemäß irischer Tradition eine Lockerung von
der Bindung zu den Bistümern, d. h. größere Autonomie,
Zubilligung von Privilegien, existenzfördernden Freiraum.
Erste Mönchsniederlassungen: Kleine Konvente allein zur
kontemplativen christl. Erbauung; wenig engagiert hinsichtl.
Landkultivierung und Missionierung.
2. Klostergeschichtliche Entwicklung bis zum
Mittelalter
603:
Klosterchronik (Original verloren): Gründung des Klosters
Offonis cella durch iro-schottischen Pilgermönch Offo.
Historisch sicher seit archäolog. Nachweise (1972-1975/List). 1.
Kirchenzelle (Marienpatrozinium) in römische
Siedlungs-/Tempelruinen plaziert. Zugehörige Gräber zunächst
außerhalb der vorh. römischen Hofmauer; vorerst auch d. Grab
Offos; bald kleine Memoria-Kapelle über diesem Grab (ohne
Skelett).
605:
Laut Chronik: Bischof Arbogast von Straßburg empfielt
merowingischem König Dagobert I. oder König Chlotar II. die
Schenkung eines Hofes in Herlisheim (Diözese Basel) bei Rufach
an der Mundat. Diesen Hof besaß Schuttern bis ins 14. Jh.
640:
Mit Niedergang des merowingischen Königtums entfällt Schutz
durch einheimische Stifterfamilie (Herren zu Burghausen).
Offonis cella versinkt deshalb jahrzehntelang in
Schattendasein.
746-753:
führt der Wandermönch Pirmin (Quelle: vita Pirmini, Ende
9. Jh.) die Benediktiner-Regel ein. Die Herkunft Primins ist
unsicher; Thesen: 1. irisch; 2.: westgotisch,
Braga-Klosterkongregation als Vorbild für seine
Gründungsstrukturen; 3. aus Meaux in der Brie als Verwandter der
Burgundofaronen (= Version d. vita Pirmini).
Unter Pirmin, unterstützt durch die frühen Karolinger: Aufblühen
des Klosters. Erweiterungen der Kirche Offos um das dreifache in
drei Zeitstufen gemäß rasantem Wachstum des Konvents (= 2.
Kirche). Tod Pirmins 753.
ca. 790:
Totaler karolingischer Neubau (= 3. Kirche). Grundriß und Lage
ohne Rücksicht auf Vorgänger-Bauwerke. Achse orientiert an Mitte
Memoria-Kapelle.
817:
Synode zu Aachen: Konstitution über Dienst der Reichsklöster:
Zuordnung von (jetzt) Offoniswillare zu den 14
Reichsklöstern; an Bedeutung nach Lorsch an zweiter Stelle der
Spitzengruppe von drei Klosterkategorien gemäß Kapitulare
Ludwigs d. Frommen (ultra Rhenum).
Evangeliar des Diakons Liuthar aus Offoniswilla im
Auftrag d. Abtes Betrich belegt hochentwickelte Schreibschule
(Dokument: im British Museum, London).
Schuttern ältestes Kloster ultra Rhenum.
Förderung der Reichsklöster durch die Krone rückläufig.
870:
Vertrag von Mersen (Nennung).
878/79:
Tauschvertrag um Güter im Breisgau zwischen Lorsch und
Offoniswillare (Schuttern).
Allgemein: Ende 9. Jh. Wirren im Reich mit negativer Entwicklung
der Klöster. Konventbelegung ca. 80 Mann (Quelle: Totenlisten).
938:
Ungarneinfall; Verwüstung der Ortenau; Klosteranlage zu
Schuttern durch Brandschatzung teilweise zerstört.
962:
Otto I.: in Folge Festigung des Reichs.
965:
Wiederaufbau im Kloster Offoniswillare (als 2. neuer
karolingischer Bau = 4. Kirche mit Mosaikabdeckung des
Offo-Grabes).
975:
Otto II. sichert Schuttern das Recht der freien Abtwahl und ein
Immunitätsprivileg mit Herauslösung aus Grafschaft Mortenau.
1007:
Heinrich II. fördert mittelarmes Offoniswillare infolge
Schenkung an (seine Gründung) Bistum Bamberg.
1016:
Königsurkunde bezeichnet Offoniswillare als arm; erhält
nun Königsgut. Heinrich II. übernachtet im Kloster zur
Offo-Grabverehrung.
1025:
Erstmals Kloster- und Ortsname Scutera erwähnt.
1136:
Papsturkunde mit erstmaliger Besitzverzeichnisse
1153:
Brand des Klosters. Großer Neubau der romanischen 5. Kirche
begonnen.
1169:
Überfall des Grafen Berthold von Nimburg = Klostervogt von
Schuttern (!) auf Kloster und u. a. Zerstörung des Mosaiks auf
der (ergebnislosen) Suche nach den Offo-Reliquien.
1166, 1169, 1240:
Kloster von Bränden beschädigt (Quelle: Chronik).
1268:
Chorweihe (= 1. Baustufe) der geplanten neuen Kirche durch
Albertus Magnus.
1283:
Weihe der neuen Kirche durch W.-Bischof von Straßburg.
1290:
Bau einer Mausoleumskapelle über Offo-Grab in der Kirche.
Allgemein im Umfeld des Klosters: Dorf Schuttern auf
Klostergrund.
1327:
Schuttern erstmals als Stadt deklariert (Quelle:
Auseinandersetzungsvertrag Abt-Vogt zu Fischrecht und
Mühlenbann).
1328:
"Deutscher Thronstreit": Schuttern wird Angriffsziel.
1334:
Desgleichen involviert im Krieg Straßburg versus Adel. Das
Kloster (und Kirche?) wurde niedergebrannt. Wiederaufbau in den
Folgejahren.
1520:
Brand (Blitzschlag) der Kloster-Betriebsgebäude.
3. Mai 1525:
Infolge der Reformation: Vertreibung der Mönche, Zerstörung des
Kircheninneren.
Allgemein in den folgenden 2 Jh.: Ortenau in desaströsem Zustand
nach dreißigjährigigem Krieg, Brände und Vertreibung.
1722:
Neuer Kirchturm-Bau.
1770:
Bau einer neuen Kirche (6. Kirche) im Barockstil; dabei
Wiederentdeckung des Grabes Offos.
1805:
Kloster Schuttern wird amtlicherseits geschlossen.
Abb. 1 Die verschiedenen Baustufen der Kirchen in
Schuttern
3. Baugeschichte und archäologischer Befund
Zwischen der Gründungsinitiative 603 und dem Bau der letzten
Klosterkirche 1770 wurden am selben Ort sechs Kirchen errichtet.
Es wurden zwischen 1972-75 intensive Grabungen im Bereich der
Klosterkirche durchgeführt. Der archäologische Befund gestattet
die Bestätigung der schriftlichen Dokumente seit Pirmins Zeit.
Er gab darüber hinaus Auskunft oder Hinweise zur Entwicklung und
Bedeutung dieses Konvents, über die materielle Qualität der
Ausstattung wie auch über die mehrfache Bestandsgefährdung, aber
auch über das Energiepotential des Konvents in politisch
turbulenten Jahrhunderten. Ein Ziel war auch, das Grab des Offo
zu finden. Von römischen (vorklösterlichen) Grundmauern über
merowingische, dann karolingische Kirchen bis zur romanischen
Basilika und zuletzt Barockkirche sind die einzelnen
Gründungshorizonte als Zeugen einer permanenten, fast 1200 Jahre
dauernden Klosterentwicklung aufgedeckt.
Die 1. Kirche (Abb. 1, rot) des Gründers Offo in
römischer Gutshofruine (Abb. 1, schwarz): Rechtecksaal,
Abmessungen 20 x 40 römische Fuß = ca. 5,90 x 11,80 m.
Raumgliederung durch Mauervorlagen im östlichen Raumdrittel.
Gemauerter Altar 90 cm vor Ostwand (später von Gründungskörpern
der römanischen und Barockkirche überlagert). Fundament der
NW-Ecke gut erhalten. Hier auch innenseitig ein Sarkophag mit
zerworfenem Skelett; gegenüberaußenseitig ein trapezoider
Sarkophag (burgundischer Monolithtypus) mit großem Skelett.
Ansonsten etliche Erdgräber im freien Feld (im 6. und 7. Jh.
üblich auch für Äbte und Bischöfe). Über einem der Erdgräber
wurde vom Gründungskonvent eine Memorialkapelle, 3 x 3 m,
außerhalb der noch bestehenden römischen Mauer errichtet (Abb.
2). Gebeine wurden dort nicht gefunden. Das archäologische
Gesamtergebnis wies eine spätere Translation nach. Von Offo?
Erst-Kirchenerweiterung wegen Konventzuwachs in drei Stufen:
als 2. Kirche (Abb. 1, rot; Abb. 2).
Erweiterungsstufen:
1. Nach Osten und Süden. F neu = 7,38 x 14,75 m (Stufe II)
2. Apsis (Stufe III) mit entsprechend herausgezogenem
Sanktuarium.
3. Bau eines Annex entlang der Südseite mit drei Kapellen.
Abb. 2 Isometrische Rekonstruktion der 2. Kirche (unten
rechts)
und der Memoria-Kapelle aus der Zeit der 1. Kirche (oben links)
von Süd-Ost.
Frühkarolingische Zeit:
Die römische Mauer ist abgebrochen (dort Gräber, davon eins in
der Mauergründung mit Deckplatte = ehemalige Tempelschwelle.)
Karolingische Zeit:
Der pirminische Bau wird vollständig geschleift inklusive Altar.
Der vergrößerte Konvent machte den Bau einer völlig neuen
Kirche, der 3. Kirche (Abb. 1, blau; Abb. 3),
erforderlich.
1. karolingischer Bau mit dreifacher Fläche des Vorgängers; neue
Achse Ost-West = Achse aus Memoria-Kapelle (noch) mit Offo-Grab.
Keine Apsis (!), keine Seitenaltäre (!).
2. Translation des Sarkophags Offos mittig in West-Schiff der
neuen Kirche. Ottonisches Mosaik als Grabüberdeckung sowie Offos
romanische Sarkophagplatte.
3. Nördlich an Kirche angebaut: das Klaustrum und Dormitorium.
Verbindung Dormitorium-Kirche über Spindeltreppe (NW-Ecke
Kirchenraum-Gliederung durch Trennwand (Vorraum) mit
Pfostenlöchern (für geplante Empore?). Fundamente der 1.
karolingischen Kirche ohne Fundament-Sohlengegenstück: mit der
Konsequenz der Destabilisierung.
4. Außenwandverbindung bis zur Kreuzkirche (Abb. 3) = gleiches
Baustadium. Somit ein Großkomplex: Kirche-Atrium-Kreukirche.
Kreuzkirche (St. Michael) war zugehörige Kirche der Laien. Ecken
des Baus auf enggesetzten Pfosten gegründet. Mauerwerk typisch
karolingisch; jedoch keine Entlastungsbögen für das
Zentralgeviert. Gründungsbereich zeigt Abflußrinne der Piscina.
Abb. 3 Rekonstruktion der 3. Kirche
und der Kreuzkirche St. Michael (um 817)
Abbruch und Wiederaufbau der 3. Kirche sind zeitlich nicht zu
präzisieren. Die ca. 1,20 m breiten und tiefergehenden
Fundamente über Rollkiesel-Sickergestück belegen den
Wiederaufbau an derselben Stelle und damit die Existenz der
4. Kirche (Abb. 1, blau). Der Putz dieser neuen Kirche war
bemalt. Unbekannt bleiben jedoch Art und Umfang des Dekors. Der
Estrich zeigt starke Brandspuren = Folgen der Zerstörung durch
die Ungarn 938, sicher aber erst durch Brandkatastrophe 1153.
Dieses Ereignis zwnag zum völligen Neubau der Kirche (und des
Klosters?), so daß nun im Stil einer romanischen, dreischiffigen
Basilika anstelle der 2. karolingischen Kirche eine 5. Kirche
(Abb. 1, gelb) erbaut wurde. Während ihrer Bauzeit wurde das
Mosaik über Offos Grab aus Plünderungsabsicht (Graf Berthold von
Nimburg, 1169, ergebnislos) stark beschädigt. Der Boden der
Basilika wurde um 1,30 m höher gelegt. Treppenstufen im Bereich
des Westbaues auf das alte Außenniveau sind nachgewiesen. Die
Bodenerhöhung zwang zum Bau eines Arcosoliums (Bogenmauerung)
über dem Grab Offos. Kurz darauf, auf Initiative des Abtes
Hermann Börner, entstand 1290 das Mausoleum als Kleinkapelle mit
Mini-Ostchor und einem Altar über dem Reliquiengrab. Im Zuge
dieser Arbeiten wurde ein gotischer Lettner westlich des
Chorus minor einbezogen. Die Gründungspfosten sind
dendrochronologisch bestimmt (1283). Bereits 1303 wurde die
Mausoleumskapelle in dieser Basilika von Enzinger und Endinger
Bürgern bis hinab zum Reliquiengrab zerstört, was gemeinsam mit
dem Brand 1334 durch die Grabungen gut belegt ist.
Die 6. Kirche (Abb. 1, grün) entsteht im barocken
Baustil (1772).
4. Eingesehene Literatur
1. Wolfram von den Steinen: Der Kosmos des Mittelalters. A.
Francke AG Verlag Bern, 1959
2. Wolfgang Müller (Hsg): Die Klöster der Ortenau. Verlag
Historischer Verein für Mittelbaden, 1978
3. Wolfgang Braunfels: Abendländische Klosterbaukunst. Verlag M.
DuMont Schauberg, 1969
4. Friedrich Prinz: Frühes Mönchtum im Frankenreich. R.
Oldenbourg Verlag, M, 1984
5. Arnold J. Toynbee: Der Gang der Weltgeschichte 1. Bd.:
Aufstieg und Verfall der Kulturen, dtv, 1970
6. K List/P. Hillenbrand: Reichskloster Schuttern. Hsg. Pfarrgem.
Schuttern, 1983
7. Ursmar Engelmann: Der heilige Pirmin und sein
Missionsbüchlein, 1959
zurück
|